Pelle Igel – Dichter und Theatermann des Widerstands (Teil 1)
Manchmal endet ein etwas zielloses Suchen im Bücherschrank mit einem Glücksgriff. Eigentlich dachte ich am Wochenende an ein ganz anderes Buch, als mir ein schmales Bändchen in die Hand fiel: „Stiefel bleibt Stiefel. Zeitsatire in Vers und Prosa“ von Pelle Igel.
Der silberfarbene Einband mit schwarzer Schrift und stilisiertem schwarzen Kommissstiefel könnte bei oberflächlicher Betrachtung eine Sammlung expressionistischer Texten erwarten lassen. Doch Pelle Igel war alles andere als ein expressionistischer Dichter. Er selbst bezeichnete sich als „lebenslangen Agitpropmann“. Dementsprechend direkt und unverblümt war seine Sprache. Ausgefeilte Formulierungen und ästhetische Finessen waren nicht seine Sache.
„Es gibt genügend Sonnenblumen, von van Gogh gemalte Sonnenblumen auf dieser Welt, aber gibt es genügend Friedensaufrufe in Holz oder Linol geschnitten?“, lässt er den Protagonisten in seiner Kurzgeschichte „Die Sonnenblume“ resümieren.
1905 in Trier als Hans Peter Woile geboren, verschlägt es ihn früh nach Bremen, wo er eine Ausbildung zum Maler absolviert. Noch als Lehrling tritt er in die Gewerkschaft und den Kommunistischen Jugendverband ein. Bald spielt er in einem kommunistischen Agitprop-Theater mit, gründet schließlich seine eigene Theatergruppe, schreibt für die Bremer „Arbeiterzeitung“, leitet die bremisch-oldenburgische Sektion des Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller (BPRS).
Schriftsteller der „kleinen Leute“ und Kriegsgegner
Seine Themen sind immer wieder die Not der „einfachen Leute“ und die Leiden des Krieges. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren begnügt er sich jedoch nicht mit der Beschreibung des Elends, sondern rückt den Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse in den Vordergrund.
„Überall saugen dich die Bonzen aus,
schmeiß die ganze Bande ’raus“,
ruft er in seinem Lied von den Roten Reportern, das er für seine gleichnamige Theatergruppe geschrieben hat, zum aktiven Widerstand auf. Und in einem „Luxemburg, Liebknecht und unser Lenin“ überschriebenen Gedicht lässt er „durch die Straße Proleten marschieren“:
„Wenn wuchtig die Reihen und kräftig die Schritte,
wenn mächt’ger Gesang durch die Straßen hallt –“
So überrascht es nicht, dass er als Theatermacher und Schriftsteller ständig mit der Staatsmacht aneinandergerät. Selbst von der Polizei und den Zensurbehörden genehmigte Veranstaltungen werden von der Polizei häufig gewaltsam aufgelöst. Als sich 1930 die KPD-Fraktion in der Bremer Bürgerschaft wieder einmal über diese Praxis beschwert, werden ihre Abgeordneten kurzerhand von der Polizei hinausgeprügelt.
Oft kommen Einheiten der Sicherheitspolizei zum Einsatz. Bei der Sipo, wie sie nicht nur von den Linken genannt wird, handelt es sich um eine paramilitärische Polizeitruppe, mit der die Weimarer Republik die Auflagen des Versailler Vertrages zu unterlaufen versucht, das Heer auf 100.000 Soldaten zu begrenzen und auf schwere Waffen wie Panzer zu verzichten. Ihr theoretischer und ideologischer Kopf ist Oberstleutnant Wilhelm Hartenstein, der seine Karriere ab 1933 bei der Waffen-SS fortsetzt und dessen Polizeikampf-Konzept noch bis in die siebziger Jahre auch die bundesdeutsche Polizzeiausbildung beeinflusst. Zwar muss die Sipo auf französischen Druck bereits 1920 aufgelöst werden, doch die an ihrer Stelle gebildete Schutz- und Ordnungspolizei bezeichnet der Volksmund wie ihren Vorgänger als Sipo.
In seinem Spottlied „Baby, du sollst ein Sipo werden“, spottet Pelle Igel über die für ihre brutalen Einsätze berüchtigte Polizeitruppe, sie sei nur mutig als „ein ganzes Heer“.
Mit dem Erstarken der Nazis eskalieren die Auseinandersetzungen. Über den als „blutigen Sonntag von Bonn“ in die Geschichtsschreibung eingegangenen 7. Dezember 1930 schreibt er in seinem Gedicht „Bei den Nazis nichts Neues“:
„Sie bauten dort ihr 3. Reich
und schlugen den Bürgern die Köpfe weich.“
Nicht anders als bei vielen anderen Straßenschlachten wusste die Polizei auch diesmal, wohin sie blicken – und knüppeln – musste:
„Der Polizei sei Preis und Dank:
die schlägt schon keinen Nazi krank,
doch schlägt bestimmt der Gummiknüppel
den Arbeitsmann zum ganzen Krüppel.“
Die Rache der Nazis folgt gut zwei Jahre später. Noch in der Nacht des Reichstagsbrandes wird Pelle Igel verhaftet. Erst nach mehreren Monaten lassen sie ihn wieder frei. Mit Berufsverbot belegt, darf er sich weder als Journalist noch als Zeichenlehrer betätigen. Stattdessen schlägt er sich mit Malerarbeiten durch.
Hitlers „Mein Kampf“ inspiriert ihn in der Folgezeit zu zahlreichen Karikaturen.
Nach 12 Jahren ist der braune Spuk vorbei.
1947 erscheinen die Karikaturen im Reutlinger Verlag „Die Zukunft“, in dem im gleichen Jahr mit Dr. Wilhelm Püschels „Der Niedergang des Rechts im Dritten Reich“ eine der ersten Abrechnungen mit dem Nationalsozialismus in der deutschen Justiz veröffentlicht wird. Gedichte, Kurzprosa und Berichte von Pelle Igel werden im „Badischen Volksecho“, in der „Sächsischen Zeitung“, im Bremer „Neuen Echo“, in der österreichischen „Volksstimme“ sowie in der „Weltbühne“ abgedruckt. Letztere war von Maud von Ossietzky, der Ehefrau Carl von Ossietzkys, und Hans Leonard in Ostberlin – in der britischen Besatzungszone waren massive rechtliche Probleme aufgetaucht und sollte der Redaktion ein Zensor vorgesetzt werden – wiedergegründet worden.
Dezember 24th, 2015 at 13:57
Pelle Igel, mit bürgerlichem Namen Hans-Peter Woile starb meines Wissens 1980 in Ottenhöfen/Schwarzwald. Dort hatte er die Nazizeit überlebt und wurde 1945 von den Franzosen als Bürgermeister eingesetzt, da er der einzige Antifaschist im Dorf war. Meine letzte Begegnung mit ihm war auf einer von mir organisierten Veranstaltung 1945 zum “30. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg” in Kehl/Rhein. Er las aus seinem Buch “Stiefel bleibt Stiefel”. Die mehrheitlich jugendlichen Besucher dieser Veranstaltung waren begeistert !
Dezember 24th, 2015 at 13:57
1975