Maria Leitner – eine zu Unrecht fast vergessene Schriftstellerin (Teil 3)
Mit „Elisabeth, ein Hitlermädchen“ legte Maria Leitner eine der ersten literarischen Auseinandersetzungen zum Thema Jugend und Faschismus in Deutschland vor. Da der Roman 1937 nur noch als Fortsetzungsroman in der Pariser Tageszeitung erscheinen konnte, blieb seine Wirkung allerdings sehr begrenzt. Erst 1985 wurde er in der DDR als Teil eines gleichnamigen Sammelbandes mit erzählender Prosa, Reportagen und Berichten neu aufgelegt. Im Westen Deutschlands ist er nie erschienen.
Elisabeth, eine junge Schuhverkäuferin im Warenhaus Alderman, ist ein überzeugtes Hitlermädchen. Als sie auf dem faschistischen Aufmarsch zum 1. Mai ihre Kolonne verliert, lernt sie den jungen SA-Mann Erwin kennen und erlebt mit ihm das Abschlussfeuerwerk. Elisabeth ist begeistert: „Schauen Sie, wie schön, wie bunte Sterne für den Weihnachtsbaum.“
Erwin allerdings begeistert etwas anderes viel mehr:
„Aber jetzt kommt was ganz Tolles: Trommelfeuer an der Westfront.“
„Aber nein, das ist ja schrecklich, mein Trommelfell! Das hört ja gar nicht auf. Ist es nicht wie Kanonendonner?“
„Lehnen Sie sich doch an mich, dann werden Sie keine Angst haben. Eine Frau ist eben dem Trommelfeuer nicht gewachsen, auch wenn sie ein Hitlermädel ist. Aber einem Mann macht so was Spaß. Was meinen Sie, wenn es wirklich losgehen würde; das hier ist ja ein Kinderspiel. Aber es ist gut, wenn sich die Leute langsam daran gewöhnen …“
Elisabeth jedoch behagt der Gedanke an Krieg überhaupt nicht.
Elisabeth und die Suche nach dem Glück
Auch wenn Elisabeth ein begeistertes Hitlermädchen ist, über die große Politik macht sie sich wie viele ihrer Altersgenossingen wenig Gedanken. Sie will einfach nur glücklich sein. Und das jetzt und hier und nicht erst morgen, wie es die Kommunisten versprochen hatten, die in dem Arbeiterviertel, in dem sie aufgewachsen ist, den Ton angegeben haben.
Ich will jetzt glücklich sein, wo ich jung bin. Hitler hat nichts von ‚Vielleicht werden wir das Paradies nicht mehr selbst erleben‘ gesprochen. Er hat gesagt, es würde gleich, sofort anders werden. Es interessiert mich nicht, was in hundert Jahren geschieht!
Mit dem Frauenbild der Nazis hat Elisabeth keine Probleme. Dass die Frauen vor allem Kinder bekommen sowie sich um Heim und Mann kümmern sollen, findet sie sogar „sehr richtig“:
Das ist doch nicht schön, zu Nutzen des Herrn Alderman das ganze Leben lang Schuhe zu verkaufen. Und dabei immer noch zittern zu müssen, man könnte noch diese jämmerliche bezahlte Arbeit verlieren.
Während sie mit Worten noch den Nazis zum Munde redet, schleichen sich allerdings erste leichte Zweifel in ihren Kopf. Nichts hat sich seit der Machtübernahme gebessert. Im Gegenteil: Nachdem alle Juden entlassen worden sind, muss sie jetzt noch viel mehr arbeiten als früher, ohne deshalb aber auch nur einen Pfennig mehr zu verdienen. Die Reichen dagegen prassen wie eh und je. Aber Veränderungen brauchten nun einmal ihre Zeit, versucht sich Elisabeth zu trösten.
Als sie von Erwin schwanger wird, scheint ihr Glück perfekt. Doch dann hängt im Betrieb ein Aushang: Jugendliche sollen ihren Arbeitsplatz „alten Kämpfern, verdienten Frontsoldaten und Familienvätern“ überlassen. Stattdessen sollen sich die Jugendlichen zum Arbeitsdienst verpflichten. Vergeblich hofft Elisabeth, dass ihre Schwangerschaft sie schützen würde. Zusammen mit ihrer Kollegin Gilda meldet sie sich zur Landhilfe. Für das Kind ist kein Platz mehr, Elisabeth lässt es abtreiben. Die Beziehungen ihres SA-Freundes machen es möglich.
Die Katastrophe beginnt, als Gilda geheime Aufzeichnungen der Lagerleiterin der Landhilfe findet. Weil ihr Vater im ersten Weltkrieg eine Kopfverletzung erlitten hat und in einer Nervenheilanstalt gestorben ist, soll sie erblich schwer vorbelastet und damit für die völkische Gemeinschaft wertlos sein. Gilda weiß, was das heißt, und versucht zu fliehen, wird aber gefasst und eingesperrt. Sie sieht keinen anderen Ausweg mehr, als sich zu erschießen.
Es kommt zur Revolte. Die Mädchen sperren die Lagerleiterin in ihrem Zimmer ein und verbrennen die Akten.
Für die meisten Hitlermädchen geht die Revolte glimpflich aus. Sie werden nur degradiert, Elisabeth allerdings wird aus der Hitlerjugend „für alle Zeiten ausgestoßen“, womit sie auch für alle Zeiten ihren Anspruch auf eine Arbeitskarte verliert. Elisabeth weiß:
Du bist ausgestoßen. Du kannst von Tür zu Tür gehen und um Arbeit betteln. Du wirst keine bekommen. Du bist eine Verfemte.
Erwin hat sich in der Zwischenzeit für eine Laufbahn als Offizier entschieden. Was er anfangs noch zu vertuschen suchte, spricht er jetzt offen aus: Er hofft auf einen baldigen Krieg, in dem er Karriere machen kann. Für Elisabeth ist in diesem Leben kein Platz mehr. Bestenfalls will er sie noch im Geheimen lieben. „Nur niemand darf es wissen. Wir müssen vorsichtig sein.“
Elisabeth will so nicht leben, denn sie weiß, dass Erwin sie nicht braucht. Die Antwort auf die Frage „Wohin gehöre ich?“ muss sie alleine suchen.
Mit „Elisabeth, ein Hitlermädchen“ schrieb Maria Leitner einen der ersten Romane überhaupt, die sich mit der Situation der Jugend im faschistischen Deutschland auseinandersetzten. Den Buchtitel dürfte sie nicht zufällig gewählt haben, erinnert er doch sehr an „Ulla, ein Hitlermädel“ von Helga Knöpke-Joest, die diesem Loblied auf die Nazis mit „Schar 16“ bald ein weiteres folgen ließ.
Frauen als Heldinnen und Klassengenossinnen
In vielen ihrer Reportagen und Berichte hat Maria Leitner genauso wie in ihren Romanen Frauen zu ihren Heldinnen gemacht. Sei es in „Hotel Amerika“ das Wäschermädchen Shirley, in „Elisabeth, ein Hitlermädchen“ die Schuhverkäuferin Elisabeth, im Filmmanuskript „Krieg dem Kriege“ die Kriegsgegnerin Bertha von Suttner, in der Novelle „Sandkorn im Sturm“ die Jüdin Sara.
Charakteristisch für die meisten dieser Frauen ist, dass sie unter widrigen äußeren Umständen ihr persönliches Glück zu finden suchen. Wenn Elisabeth das faschistische Frauenbild als „sehr richtig“ empfindet, will sie vor allem den bedrückenden Arbeitsverhältnissen als Schuhverkäuferin entkommen. Und Shirley sieht in der Liaison mit Herrn Fish vor allem die Chance, sich endlich aus dem elenden Leben als Wäschermädchen verabschieden zu können.
Als Kommunistin sah Maria Leitner die Frauen immer als Teil ihrer Klasse. Deren Lebensbedingungen waren deshalb untrennbar mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen aller arbeitenden Menschen verbunden. Damit widersprach sie vielen Autoren und Autorinnen jener Zeit, die den Frauen zwar ohne weiteres mehr Rechte zubilligen, aber an den grundlegenden Klassenverhältnissen festhalten wollten. Nicht zuletzt deshalb dürften ihre Werke nach 1945 auch in großen Teilen der bundesdeutschen Frauenbewegung totgeschwiegen worden sein.
Obwohl die Einführung des Frauenwahlrechts ein Ergebnis der Novemberrevolution gewesen war, profitierten die linken Parteien von ihm nur wenig. Viele Frauen dachten und wählten konservativ. Erst 1928 war es der SPD bei den Reichstagswahlen gelungen, von fast genauso vielen Frauen wie Männern gewählt zu werden. Die KPD dagegen blieb bis zum Ende der Weimarer Republik eine vor allem von Männern gewählte Partei.
Vom Frauenwahlrecht profitieren konnten dagegen die bürgerlichen Parteien. Ohne die große Zustimmung durch die Frauen hätten sich vor allem die katholisch-konservative Zentrumspartei, die rechtskonservative Deutsche Volkspartei und die rechtsnationalistische Deutsch-Nationale Volkspartei bei den Reichstagswahlen mit einem deutlich geringeren Stimmenanteil bescheiden müssen.
Als 1931 die erste Ausgabe der kommunistischen Frauenzeitschrift Der Weg der Frau erschien, begrüßte Maria Leitner deren Herausgabe als großen Fortschritt:
Die Frage, warum die Frauen in so großen Massen im reaktionären Lager stehen, wird viel diskutiert […] Gegen den Verdummungsfeldzug der Reaktion ist es um so schwerer anzukämpfen, weil die Mehrzahl der Frauen (Hausfrauen, Heimarbeiterinnen, Angestellte und Arbeiterinnen der Kleinbetriebe) viel isolierter von ihren Klassengenossen leben als die Männer. Ich glaube, daß ‚Der Weg der Frau‘ besonders geeignet ist, auch diese Frauen für die proletarische Sache zu gewinnen und ihnen ihre Lage klar zu zeigen.
Publizistisch wurde die Zeitschrift ein voller Erfolg. Innerhalb weniger Monate erreichte sie eine verkaufte Auflage von über 100.000 Exemplaren. Außer Berichte und Reportagen trug Maria Leitner zur inhaltlichen Gestaltung auch die drei Erzählungen „Das Seidenkleid“, „Schwestern“ und „Die Indianer von Costa Cuca“. Alle drei Erzählungen warten wie viele andere Texte von Maria Leitner seitdem auf eine Wiederveröffentlichung.
Eine Neuauflage der Reportagen, Erzählungen und Romane ist längst überfällig
Viele Texte, wie das Filmmanuskript „Krieg dem Krieg. Der Lebensroman Bertha von Suttners“, der antikolonialistische, in Surinam spielende Roman „Wehr dich, Akato“ sowie ein weiterer Roman, über den keine Einzelheiten überliefert wurden, sind nur in Fragmenten erhalten oder vollständig verloren gegangen. Von letzterem Roman ist nur überliefert, was sie in Briefen an Hubertus Prinz zu Löwenstein schrieb: „Ich habe einen Roman begonnen, der in Österreich-Ungarn, beziehungsweise in den Nachfolgestaaten […] spielt“ und „Menschen, denen ich auf meinem Lebensweg begegnete, gestalten“ sollte.
Auch wenn viele ihrer unveröffentlichten Arbeiten auf der Flucht vor den Nazis verlorengegangen sind, die zahlreichen in Zeitschriften, Zeitungen und Büchern veröffentlichten Reportagen, Berichte, Erzählungen und Romane sind, wenn auch vielfach nur mit einigen Mühen zugänglich und verdienen eine erneute Veröffentlichung.
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Oktober 5th, 2014 at 12:26
Maria Leitners Roman “Elisabeth, ein Hitlermädchen” ist soeben im AvivA Verlag in einer Neuausgabe erschienen. In dem von Helga und Wilfried Schwarz herausgegebenen Band – der nicht identisch ist mit der Publikation von 1985 – finden sich auch weitere Reportagen und Erzählungen aus den Jahren 1934-1939 (zum Teil bislang unveröffentlichte Texte).
http://www.aviva-verlag.de/programm/elisabeth-ein-hitlerm%C3%A4dchen/
Viele Grüße, Britta Jürgs